Philipp Cahn wurde am 8. November 1887 in Westhoven (heute ein Stadtteil von Köln) als drittes Kind des Handelsmanns Hermann Cahn und seiner Ehefrau Gudula geboren. Er studierte am zur Marks-Haindorf-Stiftung gehörigen Jüdischen Lehrerseminar in Münster und trat im Mai 1912 in den Dienst der Israelitischen Taubstummenanstalt Weißensee (ITA).
Die Israelitische Taubstummenanstalt (Schule und Internat) wurde am 15. Juli 1873 in Fürstenwalde von dem jüdischen Lehrer Markus Reich gegründet und hatte zum Ziel, jüdische gehörlose Kinder, vor allem solche, deren Eltern sich einen speziellen Unterricht nicht leisten konnten, zu gleichberechtigten Mitgliedern der Gesellschaft zu bilden und zu erziehen. Im August 1890 übersiedelte die Einrichtung in die Parkstraße 22 (heutige Hausnummer) nach Weißensee, am 31. Mai 1891 erfolgte die offizielle Einweihung des modernen, für 62 Schüler konzipierten Gebäudes. Als Bildungseinrichtung für Gehörlose erfreute sich die ITA eines hervorragenden Rufes.
Neben seiner Tätigkeit als Lehrer an der ITA absolvierte Philipp Cahn die Ausbildung zum Taubstummenlehrer, die er 1914 mit bestandenem Examen beendete. Im I. Weltkrieg diente er als Soldat.
An der ITA lernte er seine spätere Frau Sophie Sawady (25.12.1894 – 17.5.1943) kennen, die dort als Erzieherin tätig war. Sie heirateten am 2. Juli 1923. Ihre Tochter Gudula wurde im Januar 1926 geboren.
Herbert Sonnenfeld, Philipp Cahn 1934 beim Sprechunterricht an der Israelitischen Taubstummen-Anstalt Berlin-Weißensee mit Hilfe eines Spiegels © Jüdisches Museum Berlin |
Neben seiner Tätigkeit als Lehrer in der ITA engagierte sich Philipp Cahn im Verein der ehemaligen Zöglinge der ITA, leitete die Gottesdienste im Altersheim für jüdische Gehörlose in Niederschönhausen und erteilte Ableseunterricht für Schwerhörige sowie in Weißensee jüdischen Religionsunterricht. Als dienstältester Lehrer vertrat er gelegentlich den Direktor der ITA, Dr. Felix Reich. Seine Erfahrungen in der Gehörlosenbildung gab er in der Fachzeitschrift „Blätter für Taubstummenbildung“ weiter.
Nach der Eheschließung wohnte das Paar in verschiedenen Wohnungen in Weißensee, Ende der 30er Jahre zogen die Cahns, wohl um den Schulweg für ihre Tochter Gudula zu verkürzen, in die Wullenweberstraße 5. Das war die letzte Wohnung, die sie sich selbst ausgesucht hatten.
Im September 1940 mussten die Cahns wie so viele Juden in dieser Zeit gezwungenermaßen ihre Wohnung in der Wullenweberstraße aufgeben. Sie konnten zunächst in der ITA in Weißensee unterkommen. Nach dem Zwangsverkauf der ITA Ende 1942 an die Stadt Berlin mussten sie in die Landsberger Str. 17 umziehen, wohl ein sogenanntes Judenhaus, wo sie bis zu ihrer Deportation lebten.
Seit Ende 1939 bis zur Liquidation der ITA durch die Nazis 1942 leitete Philipp Cahn die ITA, da der Direktor Felix Reich, der mehrere sogenannte Kindertransporte nach Großbritannien begleitet hatte, wegen des Kriegsausbruchs nicht mehr nach Berlin zurückkehren konnte. Allerdings war Philipp Cahns Verantwortung schon bald nicht mehr auf die Betreuung der gehörlosen Kinder beschränkt.
Seit 1940 diente das Gebäude auch zur Unterbringung des Altersheims für die jüdischen Gehörlosen in Niederschönhausen sowie von ca. 30 aus Schneidemühl deportierten jüdischen Frauen. Um diese Zeit lebten bereits ca. 130 Personen in der ITA. Im Oktober 1941 kamen noch die Bewohner der Jüdischen Blindenanstalt in der Steglitzer Wrangelstraße hinzu. Seit 1941 mussten die gehörlosen Kinder außerhalb der ITA unterrichtet werden, da es offenbar an Platz mangelte.
Die ITA als Schule für jüdische gehörlose Kinder wurde am 26. Juni 1942 wie alle jüdischen Berliner Schulen zwangsweise geschlossen. Philipp Cahn musste danach Zwangsarbeit in einer Farbenfabrik leisten.
Obwohl die Cahns Verwandte in Palästina hatten, versuchten sie wie so viele wohl erst sehr spät, um 1940, nach Palästina auszuwandern. Philipp Cahn hatte bereits damit begonnen, seine Iwrith-Kenntnisse aufzufrischen. Jedoch konnten die Cahns die 200 $, die von Ihnen für die Ausreisegenehmigung gefordert wurden, nicht aufbringen.
Die Cahns wurden am 7. Mai 1943 verhaftet und in die Große Hamburger Straße gebracht, wo sie noch 10 Tage blieben. Am 17. Mai 1943 wurden sie nach Theresienstadt deportiert. Philipp Cahn arbeitete dort als Fürsorger für Gehörlose und Schwerhörige, Sophie Cahn in der Wäscherei. Philipp Cahn starb am 5. März 1944 infolge der Haftbedingungen an einem Herzinfarkt. Sophie Cahn wurde am 9. Oktober 1944 mit einem der letzten Liquidationstransporte nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Sophie Cahns Schwester Meta wurde von ihrer guten Freundin Emmy Richter versteckt und konnte so die Nazizeit überleben. Emmy Richter hatte wohl auch den Cahns eine derartige Unterstützung angeboten, aber diese hatten nicht angenommen, wohl um Emmy Richter nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Gudula Cahn gelangte mit einem der letzten Kindertransporte im Juni 1939 nach Großbritannien und wurde von einer jüdischen Familie in Stockport (bei Manchester) aufgenommen. Sie lebte bis zu ihrem Tod im Jahre 2000 in Manchester.
In der Wullenweberstraße erinnern seit 2009 zwei Stolpersteine an das Ehepaar Sophie und Philipp Cahn.
Monika Sonke-Weidenbacher
Mit besonderem Dank an die Familie von Gudula Cahn in Manchester, die Briefe und Postkarten der Cahns sowie von Meta Sawady und Emmy Richter an Gudula Cahn wie auch weitere Familiendokumente zur Verfügung stellte sowie auf der Basis von Recherchen für eine Ausstellung zur Geschichte der ITA (s. Monika Sonke, Die Israelitische Taubstummen-Anstalt in Berlin-Weißensee, in: „Öffne deine Hand für die Stummen“. Die Geschichte der Israelitischen Taubstummen-Anstalt Berlin-Weißensee 1873 bis 1942, hrsg. von Vera Bendt und Nicola Galliner, Berlin 1993, S. 43 bis 77)